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Echt Kras(s)ke

Böse Buben

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Afrika, Asien, Lateinamerika – weit weg. Die Verbrechen, die dort begangen wurden und werden – Gott sei Dank weit, weit weg. Die Massaker, die Massenvergewaltigungen, die Plünderungen und Brandschatzungen. Die Schießbefehle, die Auslöschungen – nicht unsere Sache.

Das galt lange Zeit.

Es war eine Haltung, die es den selbstherrlichen Potentaten, den Kleinen und Großen der Größenwahnsinnigen weltweit erlaubte, sich in Sicherheit zu wähnen, es war ein Freifahrtschein für Despotie und Unmenschlichkeit.

Spätestens seit die spanische Justiz den chilenischen Ex-Diktator Augusto Pinochet im Jahr 1999 wegen Folter anklagte, gilt aber eine neue Zeitrechnung, ein bis dahin schlummerndes Prinzip internationaler Gerichtsbarkeit wurde kühn zum Leben erweckt. Es ist ein Prinzip, das es erlaubt, Kriegsverbrecher und Folterknechte anzuklagen, egal an welchem Fleckchen Erde sie wüteten oder wüten ließen. Im Osten des Kongo etwa, wo 2009 ganze Landstriche abgefackelt wurden, wo Dörfer von der Rebellengruppe FDLR systematisch ausgelöscht wurden – durch kleine Buben mitunter, die zu bösen, zu grausamen Schlächtern mutierten. Blutrünstig. Barbarisch.
Dass ihre Taten heute geahndet werden, wird durch das sogenannte Weltrechtsprinzip ermöglicht. Diktatoren und Gewaltherrscher, so die Idee, sollen nirgendwo mehr sicher sein. Ein ebenso ehrgeiziges wie ambitioniertes Ziel, das zweifelsfrei Mut erfordert. Mut zur Gerechtigkeit.

In Stuttgart steht derzeit ein Ruander vor Gericht, der jahrelang von seiner Mannheimer Wohnung aus die marodierenden Rebellen im Kongo befehligt haben soll. Ignace Murwana­shyaka, 48, strahlendes Lachen, die Harry-Potter-Brille verleiht ihm einen intellektuellen Touch. In Deutschland studiert und promoviert, ein aufrechter Kirchgänger und fürsorglicher Nachbar. Im Kongo indes, so die Überzeugung der deutschen Bundesanwaltschaft, ließ Murwanashyaka die Puppen tanzen. Mit seinen Forces Démocratiques de Libération du Rwanda (FDLR), einer Truppe, deren Führung sich aus Angehörigen der Hutu zusammensetzt, die einst in Ruanda den Völkermord orchestrierten, soll er den Kongo in ein Schlachtfeld verwandelt haben.

Die deutschen Bundesanwälte stützen sich bei ihrer Anklage auf das Völkerstrafgesetzbuch, denn eben hier ist das Weltrechtsprinzip seit 2002 verankert.

Zugegeben, es ist eine etwas naiv anmutende Idee. Eine, von der man nicht weiß, ob und wie sie in letzter Konsequenz überhaupt umgesetzt werden kann. Und dennoch könnte das Prinzip die Welt auf lange Sicht zu einer besseren machen. Zu einer friedlicheren. Gerechteren. Ganz egal, wie der Prozess in Stuttgart ausgehen mag, er trägt dazu bei, Geschichte zu schreiben. Die Botschaft, die von ihm ausgeht, heißt: Ihr seid nirgends sicher, wir, die Weltgemeinschaft, kriegen euch. Eure Stärke, eure Allmacht, kann irgendwann gegen euch verwendet werden. Mehr als 120 Staaten haben ihre Gesetzgebung in diesem Sinne bereits ausgestaltet. Im Geiste lehnt sich das Weltrechtsprinzip an die Nürnberger Prozesse an. Es geht um eine universelle Jurisdiktion, die die Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag erweitert. Der Gerichtshof deckt lediglich Verbrechen ab, die seit seiner Gründung 2002 begangen wurde, mit dem Weltrechtsprinzip aber lassen sich auch frühere Taten verfolgen. Die Gaddafis, die Assads, die Mubaraks werden mit dem Weltrechtsprinzip nicht zu aufrechten, besseren Menschen, doch wird ihnen mit jedem neuen Prozess gewahr, dass ihre Taten gesühnt werden können. Der Haftbefehl gegen den libyschen Potentaten ist daher ein Wink für alle dieser mordenden, meuchelnden Spezies.

Wie schwierig die universelle Ahndung von Kriegsverbrechen, von Völkermord, von Verbrechen gegen die Menschlichkeit dennoch ist, zeigt sich am Beispiel der Balkankriege. Der serbische Despot Milošević starb, bevor er in Den Haag verurteilt werden konnte; dennoch wurden Verbrechen dutzendfach geahndet. Zuletzt traf es den kroatischen Ex-General Gotovina, der in seiner Heimat, dem Land, das binnen zwei Jahren der Europäischen Union beitritt, ehrfürchtig als Held verehrt wird. Gotovinas Verurteilung ist ein weiterer Mosaikstein, um dem komplexen Geflecht von Kriegsverbrechen im Kontext des Zerfalls des jugoslawischen Vielvölkerstaats Gerechtigkeit folgen zu lassen. Ob dies in jedem Falle gelungen ist? Darüber mag man streiten. Und doch folgen die Strafrichter in Den Haag einem klaren Verdikt: Kriege, auch solche, die der Verteidigung dienen, sind humanitären und zivilen Regeln unterworfen. Und: Menschenrechte sind ein universell zu schützendes Gut.

Zwar wird es noch dauern, bis sich diese Erkenntnis in jenen Ländern durchsetzt, in denen eben noch geschossen und geschändet wurde. Die Nachfolgestaaten Ex-Jugoslawiens etwa ergehen sich weiterhin in einem unwürdigen Freund-Feind-Denken. Umso wichtiger ist es, dass auch der serbische General Ratko Mladić gefasst wird – jener Militär, der das größte Massaker auf europäischem Boden seit Ende des Zweiten Weltkriegs zu verantworten hat, das Massaker von Srebrenica. Ungeachtet dessen wird er von den serbischen Behörden unrühmlich gedeckt. Ohne Mladić wird das Justizkapitel dieser Kriege nicht geschlossen werden können. Und auch wenn es eine hundertprozentige Gerechtigkeit bei diesen Buben nicht geben wird – so ist es doch das Ziel.

Bisher erschienen:
Restrisiko
Pudels Kern
Irgendwo in Indien
Tanz der Kaimane
Es grünt so grün
Alice im Verschwörungsland
Böses Blut
Geistes Blitze

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